MASSIMO PALAZZI

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MEAN SHADOW OF A GOD, DAC GALERIE – De Simone Arte Contemporanea, Genua

 

 

Eine besondere Form des schöpferischen Prozesses, der immaterielle Elemente in eigentliche Objekte transformiert, treibt seinen sinnstiftenden Spuk in dem gegenwärtigen Zustand der bildenden Kunst. Angesichts der Leichtigkeit, mit der Bilder heute produziert werden können, sagt uns diese Tendenz etwas von der Widerständigkeit sinnlicher Erfahrung gegenüber bloßer Erfindung und kann als symptomatische Reaktion sowie als notwendige Konsequenz auf die Ausbreitung digitaler, gewichtloser Einheiten aufgefasst werden.

Trotz ihrer Unterschiedlichkeit gehören die Arbeiten von Christian Heilig und Esther Horn zu dieser Strömung, und darin offenbart sich ihre Identität. In der Vorgehensweise beider erzeugen visuelle Informationen eine Erfahrung, die man mit dem Begriff haptisch bezeichnen könnte, verstanden als aktiv erfühlte Auffassung von Raum als Größe, Kontur und Oberflächentextur und die Selbstwahrnehmung in dieser naturgesetzlichen Bedingtheit von Außenwelt. Die Analyse ihrer Arbeit bringt uns zurück zu der vergangenen Dekade, in der die Ausbreitung von Pixel- und Vektorgrafiken eine Ästhetik auslöste, die ihre Grundlage in der schnell wiedererkennbaren 'sharp-edge' Form und der folgerichtigen Gegenbewegung der von trial-and-error, gestisch geprägter Zeichnung, des 'zeichenhaft-ungezähmten Flecks' hatte, die schließlich zu der unerwarteten Wiedergeburt scheinbar traditioneller Abbildungspraxis der Gegenwart führte. Dieselbe Verbindung von Technik und Handwerk – man könnte auch sagen: von Abstraktion und Einfühlung – ist in der Arbeit beider Künstler mit einer auffälligen expressiven Kraft ausgestattet, sie entstammt auch der Zeichnung und ihrer Schlüsselrolle in der Be-Zeichnung des Raums.

Christian Heilig verwandelt Linien und Formen in plastische Elemente, gerade so, als ob er Vektorbahnen benutzt, die vergrößert und verkürzt werden können, ganz spielerisch, und nie verlieren sie dabei ihren raumgebenden Duktus. In einer großen Materialfülle realisieren sie sich als sofort erfahrbar und wirklich, in der Zeichnung wie in einer dreidimensionalen Installation. Den Prozess widerspiegelnd, der virtuelle Objekte in greifbare Realität überführt, dringen  Bahnen in Form von hölzernen Strahlen in den Raum ein, Vektorformen, gesägt aus MDF, Styropor oder Rigips; 'Mesh'- Netze - aus dreidimensionalen Grafiken werden Skulptur und Architektur. So entstehen mentale Landschaften, die, in wechselseitiger Beeinflussung mit ihrer Umgebung, spontan Formen keimen lassen, die den Betrachter zu immer neuen Environments und Raumerleben führen.

Auch Esther Horn erschafft imaginäre Landschaft. Als Malerin erzeugt sie mit gleißenden Farbfeldern Licht auf dunklen Malgründen, und so bilden diese lichte Bühnen für ihre nächtlichen Traumbilder. Auch wenn viele ihrer Bilder an filmstills geheimnisvoller roadmovies anzuknüpfen scheinen, tritt die Auseinandersetzung ihrer Malerei mit Filmbildern hinter der ursprünglich gewählten Thematik zurück. In der Tat, der Kinosaal selbst ist der Ort, wo die Leinwand dem dunklen Raum der Zuschauer begegnet und gerade die Unterscheidung zwischen optischem und mehrdimensionalem Erleben deutlich sichtbar macht. Und schon einige frühere Arbeiten von Esther Horn, die Landschaften im Innern eines Campingzelts darstellen, bilden eine Metapher für die Verbindung von Leinwand als Ort für Vorstellung, Bild und Raum zugleich; dieser Bezug brachte auch ihre raumbezogenen Wandarbeiten hervor, die in der Kooperation mit Christian Heiligs Installation zum Environment werden.

Mean Shadow of a God, ein Projekt, welches die Künstler eigens für die DAC Galerie entworfen haben (siehe hier), ist ein geradezu sinnbildliche Veranschaulichung des expressiven Potentials, das in der Bewegung von immateriellen Vorstellungen in die Realität (und zurück) liegt und der damit verbundenen Kollision von optischem und haptischem Raum. Licht ist hier selbst Darstellungsform, das Mittel, das aus Formen Trugbilder macht, die Projektion trifft auf die begrenzenden Wände ihres Ortes, erfährt Verzerrung und Brechung.

Die dramatische Kraft dieser aus der Vorstellungskraft in die Gegenwart übertragenen Bilder ruft die scharfkantig geformte Raumwelt der Maler Walter Reimann und Walter Röhrig in Erinnerung, mit der sie den berühmten expressionistischen Films Das Kabinett des Doktor Caligari (R. Wiene, 1920) ausstatteten. Die beiden Maler malten für die Szenenbilder Licht- und Schattenformen direkt auf die Wände der Requisiten. Wenn es nun Sinn macht, über die Phänomenologie von Stil im Sinne von Ausdrucksweise zu sprechen, wie es zu dieser Zeit durchaus der Fall war, stellt die Arbeit von Christian Heilig und Esther Horn ein beispielhaftes Zeugnis unserer Zeit in einem hypothetischen Katalog der Kunstformen dar.