ÜBERGANG (Zesel)

 

 

Es war eine milde Nacht, fast schon Sommer. Der Abend mit der Freundin war schön gewesen, wenn auch ein wenig unerfüllt. Ihr Wesen, wie hinter Schleiern gelegen, war nicht richtig zu lesen gewesen. Das ist nicht immer so. Und geht wohl auch wieder vorüber.

Bei unserer Abschiedsumarmung verbanden wir uns klar, darüber war ich froh und nahm sie noch ein wenig mit mir mit, heimwärts, auf dem Fahrrad, bis zur Ampel. Dann kam der Mann mit dem Rock neben mir zu stehen.

 

Ich schaute auf die leicht verrutschte, blonde Perücke mit dem Klämmerchen, das notdürftig den Scheitel in festen, dichten Plastiksträhnen hielt. Wache, warme Wieseläuglein glitzerten in einem gegerbten Gesicht. Ich glaube, die Bluse um den kräftigen Oberkörper war so schwarz wie die Wolljacke darüber, der Rock rot. Muskulöse Waden steckten in feinen Beerdigungs-Nylons, Pumps hielten die Pedale.

Oh, haben wir uns nicht vorhin schon gesehen, im Innenhof der Kneipe? Beim Fahrradaufschließen, von Weitem? Brachte ich uns in’s Gespräch. Doch ja, an einer Transvestitenveranstaltung im ersten Stock nahm er teil, einer schönen, auch seine Frau war zugegen gewesen, zeitweise zumindest. Flüssig, sanft und leise erzählte er, wir hatten scheinbar den gleichen Weg.

 

Erstaunlich! Rief ich beschwingt in die dunkle Wärme aus seiner Richtung, wie frei! Wie schön! Mehr davon!

Nun ja, erzählte er, auf seinem Rad wie hinter einer Wand kauernd. Da war so vieles. Ich merkte, er hatte ein Bedürfnis zu erzählen, das kam aus einem Nichtverstehen, ungleich dem Gelernten, das Eine teilt.

 

Ein Obdachloser, ein Straßenmusiker und sogar professioneller Saxophonist haben sich über die Jahre in ihm gezeigt. Im Übergang. Sie waren ihm alle fremd. Das mit dem Obdachlosen hat er leise gemurmelt, da konnt ich ihn fast nicht verstehen.
Ganz eigentlich wollte er reisen und. Ganz viel. Dann hat er geheiratet und zwei Kinder zieht er jetzt groß, deshalb kann er jetzt nicht. Wie er will. Und Erzieher ist er gerade, beruflich. Ich weiss beim besten Willen nicht. Ein Entwurf. Von Liebe war in keiner Weise die Rede.

 

Ach, Malerin sei ich. Ob ich denn von der Kunst leben könnte. Da waren wir schon im Park, der den Westen vom Osten trennt. Und hui, mitten dahinein gestellt, die beliebte Langweiler-Frage Nr. 1. Damit haben sich noch immer Herr und Frau Ignoranz die Ehre gegeben. Von Liebe und von Kunst war in keiner Weise die Rede.

 

Ein Körper im Abenteuer eines Gefangenen? Womöglich! Ich weiss es beim besten Willen nicht. Womöglich hängt Freiheit doch noch mit anderem zusammen. Womöglich braucht man ein ganzes Leben, um sich selbst zu verstehen.

 

Oh, sieh mal, schon fast da! Auf einem Berg im Osten hielten wir inne, halbe Strecke, er musste abbiegen, nach links. Adieu, dann, ach Mensch, das war ja schön, ja wirklich, mit dir auch. Alles Gute, ja, dir auch! Und vielleicht sieht man sich nochmal, na ja, warum nicht. Viellecht ja bei diesem Fahrradmarathon, hab ich dir ja am Anfang erzählt, achso, ja, stimmt ja. Na, schaunwer mal, ich weiss nicht so recht, mal sehen eben, winke! Ja, winke zurück, Ciao!

 

Ein Wunder, dass ich noch von dir geträumt habe in der Nacht, in einem ganz lichtlosen Ort. Warst du, unterirdisch, in einem großen, hell erleuchteteten Jugendheim inmitten des nachtschwarzen Dunkels. Es spielten in Filz eingefasste, dämmende Röhren eine große Rolle, außen lagen sie überall verlegt.

 

Ach Mensch. Komm gut nach Hause!