DIE SONNENBLUME

 

 

Es war einmal eine Sonnenblume. Eine wie keine. Jeden Tag wusste sie, wer sie war, wie es nur eine Sonnenblume kann. Sie war mit ihrem Wissen über sich selbst identisch. Wer annimmt, dies sei ein neutraler Zustand, der irrt. Die größte Übereinstimmung mit sich selbst ist nicht nichts, sondern Liebe. Wer allerdings ahnt, dass wahrer Frieden Schweben in interesselosem Mittelpunkt bedeutet, liegt richtig.

Ein Rotkehlchen ist auch identisch mit sich. Kein Zweifel trübt sein Bewusstsein, auch keine Wahl. Es vollendet sich selbst jeden Moment, ohne zu zögern gibt es sich seinem eigenen Blick hin, seinem Picken, seinem Hüpfen. Seinem Singen, seinem Fliegen. Einfach so, no big deal – und gleichzeitig der Bewusstseinszustand, von dem so mancher Buddhist ein Leben lang träumt.

Im Fluss seines eigenen, andauernden Impulses ist unhinterfragte Bereitschaft. Es kümmert sich nicht um seine Verletzlichkeit und ist in aller Zartheit präsent. Es strahlt jene Magie der Stärke aus, die auch einem Kind innewohnt – und somit uns allen, und sei es nur in der Erinnerung.

Alle Rotkehlchen haben auch ein Horoskop, ein sehr kleines. Zwischen März und Juli erblicken sie das Licht der Welt, sind also Fische, Widder, Stier, Zwilling und Krebs. Dann ist die Bandbreite der Sonnenzeichen erschöpft. Das macht aber nichts, weil es sie gar nicht interessiert. Sie sind Leben, sie sind ein ganz bestimmtes Leben und etwas hält sie ab, das zu thematisieren. Es ist nicht vorgesehen.

Würde man anfangen, mit einem Rotkehlchen über verschiedene Lebensentwürfe zu plaudern, würde es allerdings schon zuhören, und ganz bestimmt nicht aus Höflichkeit. Es wäre die essentielle Bereitschaft, ja, sogar Neugier, die eigene Aufmerksamkeit zu öffnen für eine energetische Ansprache via stummer oder akustischer Lautlichkeit – vorausgesetzt, der Lebensentwurfplauderer ist fähig zu empathischer Einstimmung.

Doch sollte ein Austausch in Gang kommen, schwängen ab einem bestimmten Moment die Frequenzen der zu vermittelnden Inhalte mitsamt Träger wieder auseinander wie Lianen, die verschiedene Gestalten zu einem neuen Ort trügen.  Die größere, komplexere schwingt zu einem neuen Aufenthaltsort in einem starken move. Die kleinere Gestalt lässt die Liane etwas zittern und kreiseln. Und fliegt dann einfach davon, ihrem Magnetsinn folgend.

Besser ist es, dem Kehlchen einfach nur zuzuhören auf allen Ebenen. Es zu begrüßen und zu bewundern ist an Kommunikation genug, Lebensentwürfe besprechen hebt man sich besser für jemand anderen auf. Sieht man hin und hört man zu, ist jedes Naturwesen - vor allem anderen - die Botschaft selbst und die verbrachte Weile mit dem Wesen sowie Wesentlichen enthüllt so manche Wahrheit. Zum Beispiel die, dass nur wahrhaft liebt, wer das andere Wesen auch wirklich mag, Lieben ist da nicht genug.

Einmal eingangs die Sonnenblume im Fokus, fing sie unversehens an, vom Rotkehlchen zu berichten und das war völlig überraschend. Vorher teilte sie allerdings noch mit, dass sie die Dunkelheit des Beginns noch in sich trägt, und die Ahnung ihres Kerns, doch dass das jetzt einfach keine Rolle mehr spielt, da sie sehr gerne mit der Ausrichtung auf die große Wärme und Helligkeit beschäftigt ist. Bis auf weiteres.