DIE FRAU, AUS DEREN MUND DER MOND KAM

 

 

Kennst du sie? Pardon, kennen Sie sie? Sie scheint nicht allgegenwärtig, wegen der Allgegenbärtigkeit. Könnte man meinen, Kalauer halber. Ich kenne sehr liebevolle Männer mit Bart, nebenbei bemerkt.

Ich habe sie gesehen in Potsdam einst, an einer Brücke vor dem Bahnhof. Es war ein atemberaubender und äußerst poetischer Moment. Er heisst Hauptbahnhof übrigens, genauer gesagt, ist aber eigentlich der Eingang in eine Shoppingmall, von dem auch alle möglichen Gleise abgehen, routiniert, aufgeräumt, nicht zuletzt funktional.

Ich habe den Bahnhof immer gemocht, weil ich ganz grundsätzliche alle Bahnhöfe mag, und besonders, wenn sie mich zu Freunden – und Freundinnen - führen. Sogar wenn sie mich von ihnen wegführen, dann mag ich sie auch noch, die Bahnhöfe. Sie sind Orte der Möglichkeit. Ganz und gar.

An dem Abend, als ich die sich äußernde Mondfrau sah, war ich auf dem Weg nach Hause. Wer sich auskennt mit Mondbotschaften, weiss, dass die Mondin immer von Zuhause spricht. Ich war nach Potsdam geradelt an dem Tag, hatte mit Lebensabschnittsfreunden gespeist und kehrte mit dem Rad per Bahn zurück nach Berlin. Erst später wurde mir klar, dass andernorts am selben Tag etwas Entscheidendes für mein Leben beschlossen wurde.

Doch wie immer spielt das alles in dem Moment, der Moment ist, keine Rolle, denn da hatte ich zu tun: Ich war verzaubert. Schöne Eindrücke im Mond- und Laternenlicht alchemisierten entlang meines Weges in meinem Telefon zu Ansichten, das schattige Antlitz der Dinge zeigend, den Lichtkorpus herausstellend, die Koexistenz in der prächtigen Entfaltung betonend.

Eingetaucht in diesen Weg machte ich auf der Brücke halt – ein Gewässer lenkte meinen Blick auf sein funkelndes Wirken, lässig trug es die extended Lichtbahn des Mondes auf seiner Oberfläche, very charming indeed. Ich war sofort im Lichtbahn-Bann und schaute nach der Quelle, wo sind wir denn im Monat gerade, wie voll leuchtest du, la lune?­

Und da war sie. Die klare, scharf-hell gezeichntete Silhouette einer Frau im Profil, ungefähr bis zur Brust. Ihre Gesichtzüge wurden geformt vom Sfumato einer Wolkenbildung, die von dem hinterliegenden Mond durchdrungen wurde, auch hier das duale Zusammenwirken, chiaoscuro, mady by Artemisia herself. Sie winkte mir, besser spie ihren Schatten in Lichtform heraus, rief mir so samtig wie lautlos zu: Dein Zuhause ist deine Poesie, also hier bei mir, mein Herz. Du weisst ja, ICH BIN du, und DU BIST ICH - der Rest interessiert uns nicht. Schatten ist in Wahrheit voller Lichtpartikel, und diese werden gesungen, du weisst ja. Und hier singe ich für dich. Entlang dieser Zeilen wanderte das volle, hellste Rund direkt aus ihrem Mund in die blauschwarze Nacht ein; in langen Sekunden entließ sie die große strahlende Perle in den Äther.

Ich war gebannt und ließ diese Botschaft direkt in mein Herz fließen. Ich wusste, dass niemand sonst sie erhalten, aber – sie sofort wiederkennen würde, wenn befähigt: Hier also ist sie und nun kennen Sie SIE.