A GHOST SONG UND DIE WAHRHAFTIGKEIT DER COLLAGE

 

 

Danke, ich komme nun mit der Dunkelheit zurecht. Tatsächlich kann sie wahnsinnig schön sein. Es kommt auf das Licht an, das man setzt, um sie zu erkennen.

Gestern war ich in der Feuerbachstraße. Durch eine Reihe von Umständen, die mich immer mehr dem wohl wichtigsten Satz Einsteins nächer bringen - „Gott würfelt nicht“ - (wirklich überhaupt nicht, sie ist nämlich kein bischen antik-frivol, füge ich hinzu), lande ich also mit der S1 in besagter Straße, deren Name die S-Bahn Station ziert, sowie auch ein paar Meter weiter eine Eckkneipe, allerdings heißt die Kneipe einfach Feuerbach und nicht Straße.

Das Etablissement gibt mir zu denken: So indianisch, besser Karl Mayisch der Name auf einmal. Not Ludwig, or alike. Ein Feuerbach, der Feuerwasser mit sich führt? Hot? In this very way? Eine besondere Reise, vagues Abenteuergefühl durchrieselt mich, hey babe, take a walk on the wild side usw., you name it.

Ein bisschen wie vor einigen Jahren, als ich eine Liebhaberschaft mit einem exzellenten Schriftsteller erlebte. Sie sollte nicht lange dauern, diese amour-semi-fou, aber sie gereichte zu leichten, ganz unseichten Veränderungen in meinen Bewusstseinsfeldern.

Heute würden wir uns immer noch einiges zu sagen haben, aber mehr auf der sprachlichen Ebene. Also der, die guttural aus der Kehle klingt oder mit den Händen in die Tastatur eingegeben wird.

Wir waren einfach in einem anderen Land zusammen, damals. Wie in diesem umfassenden Bewusstseinstrom zueinander hingetrieben, einander umarmend, über Wasser haltend, ekstatisch, streichelnd, fassend, rudernd, strampelnd, dann auseinander driftend... zurücklassend, dann: Weg. Ich glaube, er wusste besser als ich, dass ich mein Glück mit ihm nicht finden würde. Mit das Zärtlichste an ihm war, dass er darauf bestand, weiterzuziehen, damit ich es wirklich fände. Heute weiss ich das sehr zu schätzen.

Es ist nämlich so, dass wir unmerklich aber doch ganz anders sind. Als noch vor wenigen Jahren. Auch vor Monaten, Wochen... sogar vor Tagen und Minuten. Genau genommen sind wir jeden Moment neu. Das halten wir aber vor uns selbst geheim, denn in vielen Phasen unseres Lebens sind wir damit überfordert. Je nach Ausgangssituation völlig zurecht übrigens. Das Neusein ist nicht immer gefragt, auch bei uns selbst nicht. Genau genommen geht das Neusein nur in sicheren Verhältnissen. Aber diese Sicherheiten sind dann wieder anders, als man denkt und da steig' mal eine durch. Oder einer.

Bis es soweit ist, lebt man eben vorläufige, „collagierte Verhältnisse“, wie ich sie nenne und jetzt kommt's. Genau diese Collage, das scheinbare und sogenannte Chaos ist die eigentliche Wirklichkeit.

Zudem existiert gar keines im eigentlichen Sinne, weil „Chaos“ „weiter, leerer Raum“ heisst. Undefiniert, könnte man sagen. Aber die meisten bestehen darauf, dass es Unordnung sei und ab da nimmt das Missverständnis und damit etwaiges Unheil seinen Lauf.

Denn obwohl dieses Wissen ganz leicht verfügbar ist, 1 Klick von der populärsten online-Enzyklopädie entfernt sozusagen, ist das Chaos wegen seiner hartnäckigen Fehlbenennung in Verruf geraten und schied daher schon immer als verlässlicher, ordnungsstiftender Ratgeber aus.

In der Tat ist die Weite nicht per se ordnungsstiftend. Im Gegenteil setzt bei den meisten horror vacui ein und das aus Gründen. Ich kenne dies sehr gut – es ist eine Hintergrund-Angelegenheit. Denn alles ist Kommunikation.

Und die Weite und die Leere kann zuhören und zuhören lassen. Ruhe empfinden lassen, kann ein großes Jetzt-Meer des Friedens sein. KANN. Das Zulassen wiegt mehr als das Streben und das ist das Letzte, sagen viele. Ungeheuer weiblich.

Nein, nein, schnell und mit Druck soll es sein, also haben die Menschen – das Patriarchat – in Ermangelung eine Ersatz-Ordnung entwickelt und lehren diese wiederum anderen Menschen.

Diese gespenstische Ersatz- oder Not-Ordnung heisst im Großen und Ganzen: „Einleitung, Hauptteil, Schluss (& dazwischen gibt's nix, außer fragwürdig angelegten Spannungsbögen vielleicht). Und Einleitung-Hauptteil-Schluss ist für so gut wie alles vorprogrammiert; für Liebsbeziehungen wie für Waschprogramme, für Etikette beim Dinner, sowie.

Bei Waschprogrammen finde ich Einleitung-Hauptteil-Schluss allerdings total super und angemessen. Aber: Es handelt sich nicht umsonst um Mechanik. Mechanik ist verlässlich und unumstösslich, außer sie ist kaputt und dann kann sie repariert werden. Oder eine neue Mechanik muss her.

Das Pendant zur Mechanik ist die Ordnung, die aus dem eigenen Herzen und unserer Intuition kommt und diese unterliegt der (eigenen) Natur und aus dieser erschafft sie auch. Wir Künstler:Innen wissen das.

Und um diese Ordnung in sich selbst zu ergründen, zu finden und auch immer wieder zu erschaffen, ist es unerlässlich, das wahre Wesen des Chaos zu kennen und bisweilen auszuhalten – auch in menschlichen Sekundärordnungen. Irgendwann ist es dann kein Aushalten mehr, sondern von großer Schönheit, dann, wenn die Ängste sich gewandelt haben in Zärtlichkeit, die der eigentliche Urgrund allen Seins ist, unser aller Zuhause.

Und alle Erfahrungen, die wir in unserer ureigenen, chaotischen Freiheit machen, die kommen uns zuweilen vor wie komisch zusammengesetzt, ohne Sinn und Verstand und Struktur. Und doch, in einer tieferen Kommunikation mit den Dingen konnte alles nur so sein wie es war bis – jetzt. Es gab einen Plan, einen versteckten, geheimen, unoffensichtlichen.

Und so ist auch manch geisterhafte Verbindung, gekrönt von bruchsicherer Transparenz, völlig in Ordung. Und sehr schön.