In der Weite gehalten, in der Weite Gestalt

english version below

 

 

 

Ein Künstlerfreund aus Kairo, Sherif El-Azma, schickt mir 3 Fotos zu. Ich erkenne nicht sofort, was es ist, ich mag das sehr.

Da die Zusendung auf Instagram erfolgt, erscheinen sie untereinander. Zu sehen ist eine Art Steinquader, ein großer, in einer Art geometrischen Formation, die ein kleines quadratisches Feld enthält. Unklar ist, ob es eine konvexe oder konkave Formation ist. Auf den nächsten Fotos ist das quadratische Feld jeweils größer zu sehen, also näher im Blickfeld, auf dem letzten nimmt das lose Quadrat aus Steinquadern den Bildraum fast ganz ein, es sitzt wiederum in einem Steinfeld. Die Steine sind zwar in einer geometrischen Struktur angeordnet, aber – einer Trockenmauer ähnlich – in ihrer Naturbelassenheitheit von unregelmäßiger Größe und verspringen zur Mitte hin; das gemotrische Form ist dadurch aufgebrochen, sogar scheinen sich Steine aus der Mitte gelöst zu haben. Auf meine entzückte und neugierige Frage, um was es sich handelt, antwortet er mir: „Pyramiden von oben!“

Ich bin verblüfft, ich bin begeistert. Das habe ich wahrlich noch nicht gesehen, von den Bildern geht ein geheimnisvoller Sog aus. Sie enthalten eine Entdeckung, das spüre ich, auch in ihrer offensichtlichen Altertümlichkeit in Verbindung mit strenger Geometrie.

Was vor ihrer Benennung ein undeutbares Steinkonvolut war, hat jetzt einen Namen und damit auch eine Bedeutung. Eine Bedeutungsbündel eher gesagt. Ich nehme sie abends mit in den Schlaf und im halbwachen Zustand enthüllen sie mir 1 Nachricht: Es geht um Raum, wird mir klar. Es geht um Raum und um Fläche, um Perspektive, Distanz, Nähe und um Möglichkeiten. Um Weite.

Was der Welt sattsam bekannt ist als Spitze, als Gipfelpunkt einer Pyramide, ist in Wahrheit ein Steinfeld, das aussieht wie eine Feuerstelle. Es hebelt liebevoll-gemütlich die mathematische Spitzen-Bedeutung aus und wird zum Ort, zur Begehbarkeit gar. Das Geodreieck als Lagerstätte gewissermaßen, go figure. Man könnte dort oben ein Schläfchen halten, einen Sonnenschirm aufspannen.

Ob Obelix jetzt die Spitze abgebissen hat oder die Natur mit ihrem Wind und ihrem Wetter, oder ob es so angedacht war von Anfang an, ist gleich_gültig… So sieht die Spitze jetzt aus, wenn man mal von oben schaut und nah dran ist.

Und Nähe, bzw. Distanz ist das zweite große Thema dieser Bilder. Der Bilder wohlgemerkt, weniger der Pyramide selbst. Sie steht monolithisch für sich und ihr kann man sich nähern oder es lassen – und alles in between. Sie kann sich nicht bewegen, ist so majestätisch wie unverrückbar auf ihre Existenz und ihren Standort festgelegt.

Doch der Blick darauf, der in Bildern gefrorene Blick ist von entscheidender Bedeutung – für uns. Denn wann wird eine Pyramide eigentlich zur Pyramide für uns? Definitiv mit Umraum! DAS ist die Pyramide, die wir kennen – und wiedererkennen! DANN erst enthält sie ihre Pyramidenform, ihre vollständige. Erst so ist sie die geheinisvolle, doch verrauenserweckende Superqueen der Wüste. Die Queen braucht also space, um zu sein, was sie ist. Erst in der Weite kann ich sie erkennen. Wenn man sich ihr allerdings nähert, ändert sich ihre Gestalt. Bis hin zu Unkenntlichkeit, musste ich feststellen, denn diese Sicht war auf einmal eine, in der ich auf den ersten Blick Höhe für Tiefe, sowie für Fläche nahm.

Die Weite. Die Distanz. Die Vollständigkeit, das Teil. Erst der Raum macht die Gestalt vollständig. Zumindest vollständig erfahrbar. VolständigER, könnte man noch gewissenhaft hinzufügen, denn wann sind die Dinge schon vollständig erschöpft oder erkundet…?

Erst in der Distanz können wir die Weite als Weite und auch als Perspektive erfahren… und die höchst tröstliche Gegenwart des Raums, der den Dingen ihre Gestalt lässt und diese erst erfahrbar macht. Einen fürsorglichen Raum, einer, der Möglichkeiten vorhält.

Doch wie verhält es sich, wenn wir den Raum auf die Nahsicht begrenzen und wie in diesem Beispiel den Scheitelpunkt zur Betrachtungsachse machen? Wenn wir gewissermaßen den Berg Pyramide besteigen wie einst Petrarca den Mont Ventoux und dann oben sind? Ganz eigentlich müssten wir um der Fotos halber noch 1 Schritt weitergehen, leicht über dem Berg schweben und dann beharrlich den Blick nach unten richten.

Dann erst sehen wir das Viereck, das Quadrat, aus dem das Dreieck erwächst und zu dem es wieder einschmilzt zur gleichen Zeit. Dann haben wir schwebend die Stabilität der Vier erreicht, den Boden, einen neuen Boden, wir überfliegen ihn. Und so mag es auch der Jetztzeit angemessen sein, die Mühsal des Aufstiegs außer Acht zu lassen und womöglich mit dem Hubschrauber den geometrischen Wipfel zu erreichen – YES, we can, besser: we could. Macht es die Erfahrung weniger wertvoll, wenn sie nicht mühsam ist? Anstrengungs-Fanatiker würden dem sicher lauthals zustimmen, doch Reise-Enthusiasten sehen wohl eher die andere Qualität und Beschaffenheit der Erfahrung.

Die Stabilität im Schweben… volare, der Halt im Jetzt. Hilde (Domin) würde noch hinzufügen: Nur eine Rose als Stütze… doch die sieht man auch hier nicht.

Jetzt, wo ich den Bedeutungsnamen dieses Phänomens kenne und entziffern-, bzw. der kollektiven Wahrnehmungauffassung zuordnen kann, gelingt es mir immer weniger, die vorherige Konkavität zu sehen – ein Verlust?

 

 

 

 


english version

ASCENT OF MONT VENTPYR

Held in the vastness, form in vastness

 

 

 

An artist friend from Cairo, Sherif El-Azma, sent me 3 photos. I cannot recognize what they depict right away, I like that a lot.

Since they are sent on Instagram, they appear one below the other. You can see a kind of stone cuboid, a large one in a kind of geometric formation that contains a small square field. It is unclear whether it is a convex or concave formation. In the next photos, the square field can be seen larger, i.e. closer to the field of vision; on the last one, the loose square of stone blocks almost completely takes up the picture space, again situated in a stone field. The stones are arranged in a geometric structure, but – similar to a dry stone wall – in their naturalness of irregular size they jut and portrude towards the middle; The gemotric form is thereby broken up, stones even seem to have loosened from the middle.

To my delighted and curious question what it is, he answers me: “Pyramids from above!”

I am amazed, I am thrilled. Truly I have never seen that before, a mysterious pull emanates from the pictures. They contain a discovery, I sense it, also in their obvious antiquity in connection with strict geometry.

What was an indefinable bundle of stones before it was named now has a name and therefore a meaning. A bundle of meanings rather said. I take them along into my night’s sleep and when I halfway fall asleep they reveal a message to me: It’s about space, I realize. It’s about space and surface, perspective, distance, proximity and possibilities.

What is well known in the world as the top, the summit of a pyramid, is in truth a stone field that looks like a fireplace. It lovingly and comfortably undermines the mathematical point of view and becomes a place, even accessible. The triangle ruler as a repository, so to speak, go figure. You could take a nap up there, put on a parasol.

Whether Obelix has now bitten off the tip or nature with its wind and weather, or whether it was intended from the beginning, is irrelevant … This is what the tip looks like now when you look from above and are close.

And closeness or distance is the second major theme of these pictures. Of the pictures notabene, not so much of the pyramid itself. It stands monolithically on its own and you can approach it or leave it – and everything in between. It cannot move; it is so majestic as it is immovable that it is fixed on its existence and its location.

But the look at it, the gaze frozen in pictures, is of decisive importance – for us. Because when does a pyramid actually becomes a pyramid for us? Definitely with surrounding space! THAT is the pyramid that we know – and recognize! THEN only does it contain its pyramid shape, its complete form. Only then is she the mysterious, yet trustworthy super queen of the desert. So the queen needs space to be what she is. I can only see her from afar. However, when you approach it, its shape changes. Up to the point of being unrecognizable, I had to find out, because this view was suddenly one in which, at first glance, I took height for depth, as well as for area.

The width. The distance. The completeness, the part. Only the space makes the shape complete. At least fully tangible. Almost fully, one could conscientiously add, because when are things ever completely accessed or explored …?

Only at a distance can we experience the expanse as expanse and also as a question of perspective … as we can experience the most comforting presence of space, which gives things their shape and makes them tangible. A caring space, one that holds opportunities.

But how does it work if we limit the space to near vision and, as in this example, make the vertex the visual axis? When we climb the Pyramid mountain, as it were, like Petrarch once did the Mont Ventoux and then are at the top?

Actually, for the sake of the photos, we would have to go 1 step further, hover slightly over the mountain and then persistently look down. Only then do we see the rectangle, the square from which the triangle grows and to which it melts down again at the same time. Then we have reached the stability of the four, the floor, a new floor, we fly over it. And so it may be appropriate to the nowness to ignore the hardships of the ascent and possibly reach the geometric top by helicopter – YES, we can, better: we could. Doesn’t it make the experience less valuable if it isn’t a chore? Exertion fanatics would no doubt agree, but travel enthusiasts are more likely to see the different quality and nature of the experience.

The stability in floating … volare, the hold in the now. Hilde (Domin [a wonderful jewish german author]) would add: Just a rose as a pillar … but you don’t see it here as well. Now that I know the meaning of this phenomenon and can decipher it or assign it to the collective perception, I am less and less able to see the previous concavity – a loss